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Gedenkspaziergang mahnt zu Zivilcourage

Über 100 Teilnehmende folgen den Spuren jüdischen Lebens

Nadine BongardAm Gedenkplatz, wo früher das „Judenhaus“ in der Kirchgasse stand, berichtete Buchautorin Maria Meurer über die Bewohner des Hauses.Am Gedenkplatz, wo früher das „Judenhaus“ in der Kirchgasse stand, berichtete Buchautorin Maria Meurer (rechts) über die Bewohner des Hauses.

Mehr als hundert Menschen haben an einem Gedenkspaziergang „Auf den Spuren jüdischen Lebens“ in Westerburg teilgenommen.

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In der Neustraße 29 lebte die jüdische Familie Heilberg. Im Fokus stand das Schicksal von Selma Heilberg, die im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Am Ehrenhain hatten die Teilnehmenden einen guten Blick auf die Eisenbahnbrücke. Christine Henrich (dritte von rechts) sprach dort über Deportation

Die Kooperationsveranstaltung des Evangelischen Dekanats Westerwald, der Evangelischen und Katholischen Kirchengemeinden in Westerburg, von Lehrkräften des Konrad-Adenauer-Gymnasiums und der Realschule plus sowie der Buchautorin und ehemaligen Stadtarchivarin Maria Meurer führte an zentrale Orte der jüdischen Bevölkerung und erinnerte an deren Entrechtung und Vernichtung während des NS-Regimes.

Gute Stimmung bei Synodeneinweihung 1910

Den Auftakt bildete eine Ansprache von Pfarrer Maic Zimmermann auf dem Marktplatz. Er schilderte die festliche Stimmung, die 1910 zur Einweihung der neuen Synagoge herrschte: „Alle Westerburger freuten sich darüber – ob Christen oder Juden – und feierten zusammen.“ Doch nur 28 Jahre später war das Leben für Jüdinnen und Juden in Westerburg unerträglich geworden. Das Pogrom vom 10. November 1938 markierte den Beginn ihrer systematischen Verfolgung, und 1942 wurde Westerburg als „judenfrei“ gemeldet.

Verlust von Freunden, Familie und dem eigenen Leben

Nadine Bongard vom Evangelischen Dekanat berichtete, am ehemaligen Wohnhaus von Selma Heilberg in der Neustraße 29, vom persönlichen Leid hinter diesen Zahlen. Die junge Frau, beliebt und angesehen bei Kollegen und Nachbarn, verlor Schritt für Schritt ihre Rechte, ihre Arbeit und schließlich, nachdem mehrere Ausreiseversuche scheiterten, ihr Leben 1942 im Vernichtungslager Sobibor.

Gotteshäuser sollen geschützte Räume sein

An der ehemaligen Synagoge in der Wilhelmstraße sprach Pastoralreferentin Dorothee Bausch über die „Goldene Regel“. Sie besagt, dass man andere so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte. „Den eigenen Glauben leben zu dürfen und sich in seinem Gotteshaus versammeln zu können, ob als Katholik, Protestant, Jude oder Muslim, muss jedem Menschen möglich sein“, sagte sie.

Das "Judenhaus" in Westerburg

Nur wenige Meter weiter, am Platz der, inzwischen abgerissenen, ehemaligen Zigarrenfabrik Fuld in der Kirchgasse 11, berichtete Maria Meurer über die Schicksale der ursprünglich dort ansässigen Familie Fuld und anderer Bewohner. Das Haus diente bis zuletzt als „Ghettohaus“, in das jüdische Mitbürger innerhalb Westerburgs umgesiedelt wurden. Maria Meurer sammelte die Lebensgeschichten von 140 jüdischen Opfern des Naziregimes in Westerburg und veröffentlichte sie in ihrem Buch: „Verfolgt-Vertrieben-Vernichtet“.

Deportation in den Tod

Vom Aussichtspunkt am Ehrenhain, mit Blick auf die Hülsbachtalbrücke, thematisierte Christine Henrich, Lehrerin an der Realschule plus, die Deportation der Juden. Sie las eine Passage aus Gudrun Pausewangs Roman „Reise im August“, in dem ein zwölfjähriges Mädchen seine Erlebnisse beim Abtransport mit der Eisenbahn, der unsagbar beschwerlichen Reise und der Ankunft im KZ schildert.

1942 ist Westerburg "judenfrei"

Am Rolf-Simon-Schaumburger-Denkmal im Garten des Studienseminars in der Breslauer Straße erinnerte Bettina Bathe, Lehrerin am Konrad-Adenauer-Gymnasium, an den sechsjährigen Jungen, der am 28. August 1942 mit seinen Eltern zu den letzten deportierten Jüdinnen und Juden Westerburgs gehörte. Rolf-Simon Schaumburger wurde in Auschwitz ermordet. 2007 erhielt er in Westerburg ein Denkmal.

Erinnern statt Vergessen

Zum Abschluss waren alle Teilnehmenden zu Tee, Gebäck und Klaviermusik ins Pfarrer-Ninck-Haus eingeladen. Viele nutzten die Gelegenheit, über die Eindrücke des Spaziergangs zu sprechen und sich über aktuelle antidemokratische Entwicklungen auszutauschen. Die einhellige Meinung: Erinnerungskultur ist ein Bollwerk gegen das Vergessen und gegen neue rechte Bestrebungen. Nie wieder ist jetzt!

Hintergrund

Die jüdische Gemeinde in Westerburg bestand seit dem Mittelalter und prägte das gesellschaftliche Leben der Stadt über Jahrhunderte. Die Synagoge wurde 1938 während der Novemberpogrome zerstört. Am 28. August 1942 wurden die letzten neun jüdischen Bürgerinnen und Bürger deportiert, unter ihnen die Familie Schaumburger mit ihrem Sohn Rolf. Noch am selben Tag wurde Westerburg als „judenfrei“ gemeldet. Heute erinnern ein Denkmal, eine digitale Stadtführung und zahlreiche Bildungsinitiativen an das jüdische Leben in Westerburg.


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