Junge und ältere Kirchenmusikerinnen der Region verraten, was das Besondere an der Orgel ist
Warum die Königin der Instrumente fasziniert
bonWolfgang Otto, Dekanatskantor Jens Schawaller, Jana Stahl, Elisabeth Wanner und Leo Wildauer (v. l.) lieben die Kirchenorgel.29.11.2022 bon Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Was im Laufe der Jahrhunderte gleich geblieben ist: Die Faszination, die von diesen hochkomplexen Klangkörpern ausgeht. Auch in den knapp 40 Gotteshäusern des Evangelischen Dekanats Westerwald gibt es unter den drei Dutzend Instrumenten viele Schmuckstücke, an denen jedes Wochenende viele Organistinnen und Organisten in die Tasten hauen. Zeit, mit vier von ihnen über ein zeitloses Instrument zu sprechen. Elisabeth Wanner aus Montabaur ist 93 und war davon 60 Jahre als Organistin tätig; Der Beroder Wolfgang Otto, 66, spielt seit 51 Jahren Kirchenorgel – vor allen Dingen in der Höchstenbacher Trinitatis-Gemeinde. Die Westerwälder Jana Stahl, 24, und Leo Wildauer, 20, studieren derzeit in Köln und haben bereits in diversen Gemeinden des Evangelischen Dekanats Westerwald Gottesdienste begleitet. Was die Alten Hasen und den Nachwuchs verbindet: die Liebe zur Musik. Die Königin der Instrumente bittet zum runden Tisch der Generationen.
Erzählen Sie uns kurz, warum Sie Orgel spielen.
Elisabeth Wanner: Ich habe schon als Jugendliche Klavier gespielt, später aber meine Liebe zur barocken Musik und besonders zu Bach entdeckt. Es ist unbeschreiblich, wie sehr die Klänge bei ihm strahlen. Deshalb musste es irgendwann die Orgel sein. Klavier und Bach passen nicht zusammen, finde ich. (lacht).
Wolfgang Otto: Meine Mutter war Organistin, und nachdem ich 1964 mit dem Klavierunterricht begonnen hatte, musste ich sie später ab und zu in der Kirche vertreten. Nun, ich bin dabeigeblieben und inzwischen seit 51 Jahren als Organist im Dekanat tätig – unter anderem in Höchstenbach, Mündersbach, Rückeroth oder Montabaur.
Jana Stahl: Während meiner Konfirmationszeit hat mich ein Pfarrer gebeten, die Orgel im Gottesdienst zu spielen – was ich als Klavierschülerin damals gar nicht so toll fand. Doch dann nahm ich Orgelunterricht und lernte das Instrument langsam lieben. Seit einigen Jahren weiß ich, dass ich die Orgel zu meinem Beruf machen will und studiere seitdem Kirchenmusik in Köln.
Leo Wildauer: Ich liebe den Orgelklang und möchte immer besser auf dem Instrument werden. Allerdings war die Aufnahmeprüfung an der Kölner Musikhochschule die schlimmste Situation meines Lebens. Aber das war’s wert. Ich habe bestanden und studiere seitdem ebenfalls in Köln.
Sie alle lieben Musik. Was genau fasziniert Sie denn ausgerechnet an der Orgel?
Elisabeth Wanner: Der volle, strahlende Klang natürlich! Ich weiß nicht, wie es einmal im Himmel sein wird. Aber ich rate dazu, Orgel zu lernen, damit die Engel etwas mit uns anfangen können (lacht).
Jana Stahl: Bei der Orgel hat man unheimlich viele Möglichkeiten, den Klang zu beeinflussen. Jede hat ihre eigenen Register, also ihre einzigartigen Klangfarben, die sie zu etwas Besonderem machen. Diese vielen Möglichkeiten, Register miteinander zu kombinieren und zu erleben, wie Instrument und Raum zusammenspielen – das hat mich total angefixt. Und es ist eben auch eine Form der Verkündigung. Wenn die ganze Gemeinde „Großer Gott, wir loben Dich“ singt und ich sie dabei begleite, ist das schon ein tolles Gefühl.
Wolfgang Otto: Orgel spielt man eben nie nur für sich. Man spielt sie zum Lob Gottes und um die Menschen zu erfreuen.
Wie hat sich die Kirchenmusik denn im Laufe der Jahrzehnte verändert?
Wolfgang Otto: Es gibt viel mehr Literatur. Nicht nur Klassisches, sondern auch moderne Arrangements zeitgemäßer Lieder.
Elisabeth Wanner: Für mich ist die klassische Musik diejenige, die bleibt. Viele der neuen Stücke sind für den Moment toll, in einigen Jahren aber passé. Man sollte also trotz der großen Vielfalt, die es gibt, die alten Orgelwerke nicht vergessen.
Leo Wildauer: Ich mag die alten, würdevollen Werke auch sehr. Viele der neuen Kompositionen und neue geistliche Lieder schießen manchmal über das Ziel hinaus. Klar – auch ich habe bei einer Taufe schon mal etwas von Queen gespielt. Aber man muss auch sehen, dass man eine Gemeinde nicht mit zu vielen Experimenten überfordert. Die Orgel gibt es seit mehr als 2000 Jahren.
Ist dieses Instrument überhaupt noch zeitgemäß?
Leo Wildauer: Es ist noch zeitgemäß – besonders dann, wenn es gut gespielt ist. Denn ein Könner am Instrument begeistert immer. Vor allem dann, wenn man den Musiker oder die Musikerin sehen kann. Das ist bei der Orgel besonders wichtig und sollte gerade bei Konzerten berücksichtigt werden. Warum nicht mal eine Kamera neben dem Organisten platzieren, damit man auch im Kirchenschiff sehen kann, was er oder sie tut.
Wolfgang Otto: Die Sichtbarkeit ist wirklich entscheidend! Ich erlebe das in der Mündersbacher Halle, wo manche Gottesdienste der Trinitatis-Gemeinde stattfinden. Dort sind Orgel und Gemeinde recht dicht beisammen. Wenn ich spiele, sehen die Besucher, wie ich mich der Musik widme. Ich kann den Leuten sogar von der Orgel aus die Hand geben (lacht). Ich finde es schade, wenn der Organist auf der Empore versteckt und anonym bleibt.
Eine eher kleine Orgel kostet grob geschätzt 200.000 Euro – zuzüglich der Kosten für die regelmäßige Wartung. Was sagen Sie denen, die das für zu teuer halten und sie am liebsten abschaffen oder ersetzen würden?
Leo Wildauer: Der Orgelklang ist durch nichts zu ersetzen. Auch nicht von digitalen Instrumenten. Die klingen inzwischen zwar erstaunlich realistisch, aber die Nuancen einer echten Kirchenorgel und deren Anschlag kann eben kein Computer simulieren – auch wenn digitale Orgeln natürlich sehr praktisch sind.
Elisabeth Wanner: Ich hätte lieber eine winzige echte Orgel mit nur einem einzigen Register als eine große elektronische. Jana Stahl: Wenn ich digitale Orgeln höre und sehe, blutet mir das Herz. Deren Technik ist oft schon nach wenigen Jahren überholt, und eine echte Kirchenorgel hält bei entsprechender Pflege und Wartung Jahrhunderte. Für kleine Gemeinden sind solche elektronischen Instrumente aber eine gute Lösung, weil sie wartungsärmer und günstiger in der Anschaffung sind.
Wolfgang Otto: Das stimmt. In Mündersbach haben wir ein altes Harmonium gegen eine digitale Orgel ersetzt. Eine Pfeifenorgel würde in der Mündersbacher Halle keinen Sinn machen und wäre auch viel zu teuer. Entscheidend ist doch, wer wie auf diesem Instrument spielt. Dann ist es an sich zweitrangig, ob die Töne aus Pfeifen oder Lautsprechern kommen.
Welchen Rat würden Sie, Frau Wanner und Herr Otto, als „alte Hasen“ ihren jüngeren Kollegen geben?
Elisabeth Wanner: Denkt an das Wesentliche. Es geht bei der Orgel nicht nur ums Instrument und um Fachgespräche. Haltet vor einem Gottesdienst für einen Moment inne und macht Euch bewusst, wofür und vor allen Dingen für wen Ihr in der Kirche musiziert.
Wolfgang Otto: Ich möchte ihnen keinen Rat geben. Ich traue ihnen zu, dass sie den Gottesdienst musikalisch individuell und passend gestalten. Als Organistinnen und Organisten sind sie frei – müssen aber auch damit rechnen, dass es nicht allen passt, was sie spielen. Meinem alten Ich würde ich raten: Entwickle Deine eigene Sprache auf dem Instrument.
Und was würde die jüngere Organistinnengeneration den Erfahrenen mit auf den Weg geben?
Jana Stahl: Seid offen für neue Ideen, aber unterstützt uns dabei, am „alten Bach“ festzuhalten und die Jugend von der zeitlosen Schönheit dieser Musik zu begeistern.
Als Letztes: Ihre Musik für die einsame Insel?
Leo Wildauer: Bachs Matthäuspassion.
Elisabeth Wanner: Ein Choral von Heinrich Schütz und Bachs Choralbearbeitung von Herr Jesu Christ, Dich zu uns wend.
Wolfgang Otto: Händels Largo aus der Oper Xerxes.
Jana Stahl: „Englishman in New York“ von Sting. Das Gespräch führte Peter Bongard
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