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20 Jahre Psychologische Beratungsstelle der Diakonie Westerwald: Psychologe im Interview

Erziehungsberater: Kinder sind gestresster als früher

bonDas Team der Psychologischen Beratungsstelle (von links): Silke Stoll, Frank Müller, Ruth Fendler-Vieregg, Sabine Pehl und Janine Bösel.

Seit 20 Jahren gibt es die Psychologische Beratungsstelle im Diakonischen Werk Westerwald. Zwei Jahrzehnte, in denen das Team um den Diplom-Psychologen Frank Müller mehr als 15.000 Menschen durch schwierige Zeiten geholfen hat.

Es kümmert sich um Kinder und Jugendliche, wenn sie unter der Trennung der Eltern leiden, ihnen die Schule zu schaffen macht, sie Ärger mit der Familie oder Freunden haben oder sich in Entwicklungskrisen befinden. Die Beratungsstelle ist auch für Erwachsene da: für Alleinerziehende, Eltern, Patchwork- und Regenbogeneltern, pädagogische Fachkräfte. Frank Müller ist die Konstante im Team. Mit seiner Einstellung ist die Stelle ins Leben gerufen worden, besser gesagt: hat ein neues Gesicht bekommen. 2002 wird die Arbeit, die sich vorher „Allgemeine Lebensberatung“ nannte, grundlegend verändert und umfasst fortan die Erziehungs-, Familien-, Paar- und Lebensberatung. Finanziert wird die Beratung damals wie heute von der Landeskirche, dem Land und dem Kreis. Dass sie den Trägern lieb und teuer ist, zeigt sich unter anderem im Jahr 2016 und 2022, als die beiden Stellen zunächst auf 2,5 und dann auf drei aufgestockt werden. Die Psychologische Beratung ist und bleibt also relevant, wie Frank Müller im Interview erklärt.

 

Frank Müller, Sie haben in der Beratung häufig mit jungen Menschen zu tun. War es früher leichter, Kind zu sein?


Frank Müller: Kindheit ist anders als noch vor 20 Jahren. Ich habe den Eindruck, dass Kinder heute gestresster sind als damals. Sie verfügen über weniger selbstbestimmte Zeit, und manchen mangelt es an liebevoller Fürsorge. Ich glaube aber nicht, dass es mehr auffällige junge Menschen gibt. Die Bereitschaft, sich beraten zu lassen, ist größer. Das ist einerseits gut, da Themen wie Depression dadurch enttabuisiert werden. Die Kehrseite der Medaille ist eine zunehmende Tendenz zu Diagnosen - auch zu Selbstdiagnosen: Eine schlechte Stimmung ist gleich eine Depression, Unruhe ist gleich ADHS, außergewöhnliches Kontaktverhalten ist gleich Autismus. Unser Ansatz ist nicht nur die Symptome zu betrachten, sondern die Lebenswelt der Kinder im Blick zu haben. Wir wollen Muster und Rollen verstehen und verändern, statt vorschnelle Schlüsse zu ziehen.

Welche Dinge bewegen Ihre jungen Klienten denn besonders?

Es gibt viel Unsicherheit, was das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen betrifft. Oft mangelt’s an sicheren Beziehungsangeboten, also einem fürsorglichen Erwachsenen, der die Bedürfnisse des Kindes wahrnimmt, richtig interpretiert und angemessen reagiert. Die Erwachsenen verlieren ein Gespür für die emotionale Welt ihrer Kinder. Die Jungs und Mädchen werden auf eine Partnerebene gehievt: Eltern erziehen nicht mehr, sondern verstehen sich eher als Begleiter ihrer Kinder auf Augenhöhe. Damit geht bei Kindern die Erfahrung verloren, dass ihr Verhalten spürbare Konsequenzen hat und es Grenzen gibt. Die Folgen sind unter anderem, dass Kinder ihre Emotionen nicht im Griff haben oder mit Trotz reagieren.

Wie reagieren Eltern auf solche Aussagen?

Inzwischen glücklicherweise mit einer großen Offenheit: Es gibt nur ganz wenige, die in der Beratung nicht kooperieren. Die Eltern sind gut informiert und zeigen eine hohe Bereitschaft, ihre Rolle und ihr Verhalten zu betrachten und zu verändern. Das war nicht immer so: Es gab Zeiten, da erwarteten die Erwachsenen von uns, dass wir ihre Kinder „heilen“ könnten. Sie gaben ihre Schützlinge bei uns ab – in der Hoffnung, sie nach der Sitzung verändert wieder abholen zu können. Aber so funktioniert das nicht.

Wodurch hat denn dieses Umdenken stattgefunden?

Wir verfolgen einen systemischen Beratungsansatz. Wir haben nicht darauf gewartet, dass Menschen in die Beratungsstelle „geschickt“ werden. Wir sind in die Schulen und Kindertagesstätten gegangen – hinein in die Systeme, in denen die Konflikte ausgetragen werden. Dort haben wir Elternabende veranstaltet, Erzieher und Lehrer gecoacht und beraten. Dadurch wurde die Psychologische Beratungsstelle immer bekannter. Viele der Eltern, die mich in den Vorträgen erlebt haben, kamen später in unsere Beratung. Heute sind wir bekannt; viele Ratsuchende holen sich bei mir eine Zweitmeinung ab, bevor das Kind Medikamente oder eine stationäre Behandlung bekommt. Es ist gut, dass meine Stelle von Anfang an auf Konstanz angelegt war. Inzwischen gehören Eltern zu meinen Klienten, die schon als Kinder bei mir waren und sich an meine Arbeit erinnern.

Inwieweit hat die Coronapandemie Ihre Arbeit beeinflusst?

Die Trennungsberatungen haben zugenommen. Das ist einerseits natürlich bitter. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass es auch diese Art der Beratung gibt. Denn Eltern haben im Scheidungsprozess die Kinder oft nicht im Blick: Die Jungen und Mädchen werden zwischen beiden Parteien zerrieben. Außerdem hat sich die Schere im schulischen Bereich weiter geöffnet. Diejenigen, die vorher zu wenig unterstützt wurden, gerieten durch Corona noch stärker unter Druck.

20 Jahre Psychologische Beratungsstelle: Hat sich Ihre Einstellung zum Thema Kinder und Familie im Laufe der Jahre verändert?

Es geht nach wie vor darum, dass Kinder wieder Kinder sein dürfen. Wir Erwachsene müssen ihre Bedürfnisse wahrnehmen, verstehen und förderlich darauf reagieren. Kinder sollen einen zuverlässigen Rahmen und förderliche Strukturen haben, in denen sie heranwachsen. Das gilt heute noch genauso wie vor zwei Jahrzehnten.

Das Gespräch führte Peter Bongard

Im Detail: Die Psychologische Beratungsstelle des Diakonischen Werks

Die Psychologische Beratungsstelle umfasst die Erziehungs-, Paar-, Familien- und allgemeine Lebensberatung, dazu gehören auch die Aufgabengebiete Psychodiagnostik, Supervision und Coaching, sowie Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Derzeit besteht das Team aus fünf Beraterinnen und Beratern. Das Beratungsangebot ist kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht. Weitere Infos und Termine auf der Seite des Diakonischen Werks Westerwald (www.diakonie-westerwald.de) oder unter Telefon 02663/9430-0.

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