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Henrike Kratz und Ricarda Bosse sind auf dem Weg ins Pfarramt und möchten alte Botschaften neu übersetzen

Vikarinnen wollen nahe an den Menschen sein

bonAuf dem Weg in den Pfarrberuf: die Vikarinnen Henrike Kratz (links) und Ricarda Bosse.

Warum wollen Menschen Pfarrer werden? Henrike Kratz und Ricarda Bosse haben darauf ganz unterschiedliche Antworten. Was sie eint, ist ihre Hingabe. Ein Interview.

bonHenrike Kratz und Ricarda Bosse.

Für sie ist der Pfarrberuf Herzenssache; eine facettenreiche Berufung, die sie zurzeit besonders intensiv erleben. Denn noch sind sie keine Pfarrerinnen. Die beiden absolvieren ihr Vikariat, also die letzte Phase ihrer Ausbildung. Die eine in Montabaur, die andere in Höhr-Grenzhausen. Im Interview sprechen sie über die Faszination von Lösch-Schaum, über alte, neue Psalmen und über Schach im Gemeindehaus.

Frau Kratz, sie sind nicht nur Vikarin, sondern auch Feuerwehrfrau – seit einigen Wochen gehören Sie zur Freiwilligen Feuerwehr der Kreisstadt. Was kann die Kirche von der Feuerwehr lernen?

Henrike Kratz: Bei der Feuerwehr geht es nicht nur darum, wie man eine Kettensäge richtig einsetzt oder wie viel Schaum angewendet wird – obwohl ich gerade diese technischen Dinge total spannend finde. Das Wichtigste ist die Kameradschaft auf Augenhöhe. Uns ist bewusst, dass es bei einem Einsatz um Leben und Tod gehen kann und dass ich mit meinen Kameraden im wahrsten Wortsinn durchs Feuer gehe. Diese Einstellung fasziniert mich. Ob man das genauso auf die Kirche übertragen kann, weiß ich nicht. Aber das enge Miteinander, dieses Einstehen füreinander wünsche ich mir auch für die Kirche.

Warum wollen Sie denn ausgerechnet Pfarrerin werden?

Henrike Kratz: Mein Vater war Pfarrer. Durch ihn habe ich den Beruf kennengelernt – die vielen schönen, aber auch die schwierigen Seiten. Die haben mich zunächst davon abgehalten, diesen Weg einzuschlagen. Stattdessen habe ich viele Praktika in sozialen Berufen absolviert. Aber oft kam ich in Gesprächen mit meinem Gegenüber an einen Punkt, an dem ich gerne gesagt hätte: Es gibt jemanden, der größer als alles Menschliche ist. In sozialen Berufen darf ich das aber nicht. Deswegen habe ich mich vor einigen Jahren entschlossen, doch Pfarrerin zu werden. Gott ist und bleibt nun einmal die Grundfeste meines Lebens.

Bei Ihnen, Frau Bosse, war der Weg etwas gradliniger?

Ricarda Bosse: Ich wollte schon immer Pfarrerin werden! Mit meiner katholischen Mutter und meinem evangelischen Vater gab es oft sehr lebhafte Diskussionen, und mit beiden war ich in vielen Gottesdiensten, in denen ich mich aber manchmal ziemlich langweilte. Da dachte ich mir: Es muss doch eine andere, eine spannendere Art geben, berührende Gottesdienste zu feiern und die Gute Botschaft in die Welt heraus zu tragen. Ich wollte unbedingt predigen und habe mein Studium deshalb sehr schnell durchgezogen.

Das klingt nach einer Herzensangelegenheit.

Ricarda Bosse: Das ist es auch. Ich finde es traurig, dass die Menschen oft nicht mehr verstehen, was wir als Kirche tun. Unsere Aufgabe ist es, Kirche und den Glauben wieder schlüssig zu machen – in einer Sprache, die die Menschen verstehen. Mit meinen Gottesdiensten möchte ich Menschen anrühren, und in dem was ich tue, verstehbar sein. Für mich klingen die Texte alter Kirchenlieder manchmal ziemlich altmodisch. Aber manche  suchen genau das bei ihrer Kirche: die Rituale, die alte Sprache. Ihnen ist Tradition wichtig. Es liegt an uns VikarInnen und PfarrerInnen, die alte Botschaft zu übersetzen, einen schlüssigen Mittelweg zu finden, die für alle was zu bieten hat.

Henrike Kratz: Zum Beispiel, indem ein Psalm in einem Gottesdienst in einer alten und in einer neuen Fassung gelesen wird. Die Sprache muss die Menschen erreichen, sonst ist sie sprachlos.

Eine zeitgemäße Sprache ist das eine. Das andere sind aktuelle Inhalte. Wie sollte Kirche mit gesellschaftlichen oder politischen Themen umgehen?

Henrike Kratz: Solche Themen betreffen die Lebensrealität der Menschen. Wenn wir dazu nichts zu sagen haben, haben wir im Grunde gar nichts zu sagen. Die Bibel sagt dazu aber eine ganze Menge. Auch das müssen wir so übersetzen, dass es verstanden wird.

Ricarda Bosse: Wir Pfarrerinnen bewegen uns oft in einer theologischen Blase. Dabei können wir Gott den Menschen nur dann nahebringen, wenn wir es aus dieser Blase herausschaffen.

Was wäre denn ein Ausweg aus der Blase?

Ricarda Bosse: Indem Kirche die alltägliche Themen abbildet, und indem wir uns bemühen, zuzuhören und die Menschen wirklich zu verstehen. Ich möchte verstehen, wie sich eine Frau fühlt, die den ganzen Tag Regale einräumt und dadurch unter Rückenschmerzen leidet. Ich will auf die Menschen zugehen.

Henrike Kratz: Eine Gemeinde muss sich vernetzen – untereinander und nach außen. Sie muss freier und offener werden, indem sie zum Beispiel ihr Gemeindehaus öffnet. Warum nicht auch mal für Gruppen wie den lokalen Schachclub?!

Ricarda Bosse: Dann wird Gemeinde ein echter Lebens-Raum, an dem Gott Freude hat. Er findet es gut, wenn wir Gemeinschaft feiern und authentisch sind.

Was sind Ihre Hoffnungen für die Kirche der nächsten Jahre?

Henrike Kratz: Dass sich Einzelne weniger überfordert fühlen. Deshalb müssen manche Aufgaben verteilt werden: Den Seniorennachmittag oder den Kindergottesdienst können Ehrenamtliche genauso gut leiten wie Pfarrpersonen. Natürlich sind das oft diejenigen Dinge, die uns Pfarrern auch Freude machen, aber andere können das genauso gut. Es braucht eben die Ehrenamtlichen, damit Kirche lebendig bleibt.

Das Interview führte Peter Bongard

Im Detail: Das Vikariat

Das Vikariat dauert 22 Monate und ist die zweite Ausbildungsphase auf dem Weg ins Pfarramt. Es ist in verschiedene Bereiche untergliedert, die die vielen unterschiedlichen Arbeitsfelder und Aspekte des Pfarrberufes abbilden. Theorie und Praxis sind im Vikariat eng miteinander verknüpft: Die Vikarinnen und Vikare setzen sich damit auseinander, was im Pfarramt auf sie zukommt; sie bekommen das Handwerkszeug für ihre Aufgabe als zukünftige Pfarrerin und Pfarrer vermittelt und üben diejenigen Handlungen ein, die Pfarrerinnen und Pfarrer können müssen. Im Evangelischen Dekanat Westerwald sind Ricarda Bosse und Henrike Kratz derzeit die einzigen beiden Vikarinnen.

Zur Person: Henrike Kratz und Ricarda Bosse

Henrike Kratz (35) stammt aus dem Vogelsberg, liebt die Natur und absolviert ihr Vikariat in der Evangelischen Kirchengemeinde Montabaur. Ricarda Bosse ist 25, lebt in Limburg, macht gerne und oft Musik und absolviert ihr Vikariat in der Evangelischen Kirchengemeinde Höhr-Grenzhausen.

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